Ich war in Athen.
Es war super. Noch nicht zu heiß, aber schon Badewetter. Deshalb war ich zwar oben bei der Akropolis und auf dem Strefi-Hügel, aber den Museumsbesuch und den Nationalgarten habe ich geknickt. Dafür habe ich Athen zu Fuß und per Bahn durchstreift, lag einen ganzen Tag und zwei halbe in Edem am Strand, war im Ägäischen Meer schwimmen und habe in Piräus mit Blick auf den beleuchteten Hafen köstlichen Fisch gegessen.
Griechenland ist ein modernes Land. Stellenweise sogar sehr modern. Die Athener U-Bahn beispielsweise ist wirklich sehr schick und klimatisiert. Es gibt Stadtteile, in denen man alles findet, was das Herz begehrt. Aber dann gibt es halt auch ein, zwei Stadtteile — sehr nahe am Stadtzentrum –, da sieht es aus wie nach dem Krieg.
Mitten in einer der Hauptzufahrtsstraßen steht ein Häuserblock, dessen brüchige Außenmauern mit Holzbalken geflickt sind. Man kann durch die Löcher in die Wohnungen sehen. Da wohnen Menschen drin.
Es gibt besetzte Häuser, die haben gar keine Wände. Und es gibt zusammengezimmerte Hütten-Lager, die sich die Roma geschaffen haben.
In den Straßenbahnen und auf den Plätzen der Innenstadt trifft man zu jeder Tageszeit auf Bettler, häufig Roma-Kinder oder junge Männer und Frauen, die lautstark lange Geschichten von ihren fünf Kindern und kranken Müttern zum Besten geben. In den Straßen verstecken sich obdachlose alte Frauen hinter großen Hüten und drehen sich verschämt weg. Teilamputierte alte Männer sitzen auf dem Gehweg, halten still einen Plastikbecher vor sich und hoffen, dass eine Münze hineinfällt.
Touristen wohnen in Hotels, Pensionen oder — wie ich auf dieser Reise — in einem Bed & Breakfast. In “meinem” Viertel, Exarchia, leben die meisten Menschen in richtigen Häusern. In Exarchia entkommt kaum eine Fassade den Sprayern, dabei war das zwischen 1880 und 1890 entstandenene Viertel mal eine richtig schicke Gegend. Marmor überall, repräsentative Lobbys in allen Häusern, holzvertäfelte und messingbeschlagene Aufzüge, wahrscheinlich gab es mal in jedem Haus einen Portier. Innen ist die Ausstattung extrem einfach. Heizung gibt es meistens keine. Dann sind im Winter halt innen wie außen Null Grad. Und auch hier findet man in Schlafsäcke gewickelte Menschen in den Häuserecken.
Wohl gemerkt: So abgeschrubbt das alles ist, in diesem Viertel leben Menschen wie du und ich. Viele Studenten, arbeitende Bevölkerung. Da gibt es richtig schöne Cafés und Restaurants, die vor allem von Griechen besucht werden. Ganz normale Leute eben. Überhaupt sind alle sehr entspannt und freundlich. Niemand meckert, niemand hetzt durch die Gegend. Ich bin in all dem Gedränge nicht einmal angerempelt worden. Alle reden und sitzen beisammen und sind gut gelaunt. Überall spielen Straßenmusikanten für ein Trinkgeld. Am Abend sind die Plätze voll von Menschen, zu essen gibt es überall, in der engsten Gasse, rund um die Uhr.
Das ist eigentlich unglaublich. In Deutschland würde ich um solche äußerlich verwahrlosten Gegenden einen Riesenbogen machen, weil man damit rechnen müsste, ausgeraubt zu werden und schlimmeres. Das kann zwar seit der Öffnung nach Osteuropa hier theoretisch auch passieren, wie man hört, aber ich persönlich habe mich in keiner Situation je bedroht gefühlt. Was allerdings häufiger geschieht, sind Randale-Aktionen wie das Niederfackeln von Mülltonnen auf der Straße. Die Anarchisten unter den Studenten liefern sich auch mal eine Straßen-Schlacht mit den Polizei-Spezialtruppen.
Diese Truppen sieht man auf größeren Plätzen in Gruppen herumstehen. Die ganz normale Polizei sind so der typische Freund und Helfer, aber diese Spezialeinheiten sehen aus wie Paramilitärs, gucken unfreundlich und machen auf Staatsmacht. Bereits 1985 gingen von Exarchia landesweite Unruhen aus, nachdem Sicherheitskräfte den 15-jährigen Michalis Kaltezas mit einem Kopfschuss getötet hatten. 2008 wurde der ebenfalls 15 Jahre alte Alexandros-Andreas Grigoropoulos unter ähnlichen Umständen in Exarchia von Polizei-Spezialeinheiten erschossen, was landesweit zu neuen schweren Unruhen unter den aufgebrachten Griechen führte.
Alles in allem ein Wechselbad der Gefühle. In den schicken Einkaufsstraßen, am Strand von Edem oder im Yachthafen von Piräus kann man vergessen, dass es überhaupt eine Schuldenkrise gibt, in der Innenstadt springt sie einen überall an. Und je mehr ich gesehen habe, um so ungerechter finde ich das alles. Denn hier baden wie immer die kleinen Leute die Sauereien der Reichen aus. Und müssen sich im Ausland noch blöde Sprüche anhören. Das dürfen wir nicht zulassen. Griechenland ist ein schönes Land. Die Griechen gehören zu den freundlichsten, fröhlichsten Menschen, die ich kenne. Sie sind Teil Europas wie wir. Seien wir solidarisch. Nehmen wir ihnen die Last von den Schultern, die ihnen von korrupten Finanziers und Regierungen aufgebürdet wurde. Lassen wir ihnen die Luft zum Atmen. Solidarität in guten Zeiten ist ein nettes Lippenbekenntnis. Sie taugt nur dann wirklich etwas, wenn wir in schweren Zeiten zueinanderstehen im Vereinten Europa.
Αχ, Ελλάδα μου. Σ΄αγαπώ.
2 responses to “Ach, mein Griechenland”
So ist das ja fast beinahe immer. Cui bono?
All die, die sich jetzt billig privatisiertes Staatseigentum einverleiben können vielleicht?